Erst Belgien und Neuseeland, als nächstes Deutschland? Entkriminalisierung und Legalisierung – was der Unterschied ist

Kommentar der Politischen Mitarbeiter*in Emma Sophie Roe 

Belgien entkriminalisiert, als erstes Land in Europa, Sexarbeit!

Diese Schlagzeile kursierte unlängst in den Medien. Doch was bedeutet das; Sexarbeit entkriminalisieren? Bzw. was bedeutet das konkret im Kontext der Gesetzesänderung in Belgien? Und wo liegt da der Unterschied zu dem uns aus Deutschland bekannten Modell der Legalität im Bezug auf Sexarbeit?

Die Gesetzesänderung in Belgien wurde gemeinsam mit der Sexarbeiter*innen Organisation UTOPSI (1) entwickelt. Den Unterschied zwischen Legalität und Entkriminalisierung erklärte Belgiens Justizminister, Vincent Van Quickenborne, in seiner Rede (2) auf dem ESWA-Kongress 2022 (3) in diesen (übersetzten) Worten:

 „Die Legalisierung, so gut sie in verschiedenen Ländern auch gemeint sein mag, beginnt auf dem falschen Fuß: Sie sagt den Sexarbeiter*innen, dass sie außerhalb der Legalität stünden. Aber wenn sie sich an bestimmte Regeln halten, können sie den Schutz unseres Gesetzes genießen. Die Entkriminalisierung hingegen kehrt dieses Paradigma um. Sexarbeiter*innen genießen immer den vollen Schutz des Gesetzes, es sind immer nur Missbrauch und Ausbeutung von Sexarbeiter*innen, die außerhalb des Gesetzes stehen.“

Der Unterschied ist also, dass man in Belgien der Sexarbeit legal nachgehen kann ohne vorherige Bedingungen zu erfüllen.

Solche an den Status der Legalität geknüpften Bedingungen führen immer dazu, dass ein Teil der Sexarbeitenden diese nicht leisten kann. Und so in die Illegalität getrieben wird. Dies ist in Deutschland der Fall. Sexarbeitende müssen sich als Prostituierte anmelden und bekommen einen sog. Hurenausweis. Diese Anmeldung ist für viele nicht realisierbar. Denn sie fürchten ein Komplettouting durch die Behörden, oder können sich die dabei entstehenden Gebühren nicht leisten. Ebenso erschweren Sperrbezirke die Sexarbeit in fast allen Regionen und Städten. Oft ist es kaum möglich zu erfahren, welche Sperrbezirksverornungen in welchen Gegenden gültig sind.

Auch in Belgien gab es vor der Gesetzesänderung am 01.06.2022, eine Menge unübersichtlicher Regelungen, die Sexarbeit in einer gesetzlichen Grauzone hielten. Sexarbeit selbst, und das in Anspruch nehmen der Dienstleistung war legal. Dritte, die von der Sexarbeit profitierten, und Sexarbeitende, die sich organisieren und zusammenschlossen zum gemeinsamen Arbeiten, machten sich jedoch strafbar. Ziel dieser Gesetze war es, Ausbeutung zu verhindern. Tatsächlich hatte dies aber zusätzliche Stigmatisierung, soziale Ausgrenzung und gefährlichere Arbeitsbedingungen für Sexarbeitende zur Folge. Dies begünstigt Gewalt und Ausbeutung, aber verhindert sie nicht. Das Zusammenarbeiten von Sexarbeitenden ist oft nicht nur praktikabler, sondern auch sicherer, indem z.B. Arbeitsräume gemeinsam angemietet und genutzten und dabei aufeinander geachtet oder zum Schutz in Grüppchen auf der Straße angeworben wird. Das gemeinsame Anmietung und Nutzung von Arbeitsräumen war jedoch verboten. Auch in legalen und sichereren Prostitutionsstätten kann nicht gearbeitet werden, wenn diese, wegen des Profitierens Dritter, verboten sind. Beides gefährdet und stigmatisiert Sexarbeiter*innen. Die Stigmatisierung wird gefördert, weil das Narrativ der illegal bzw. kriminell handelnden und damit grundsätzlich zu misstrauenden Sexarbeitenden am Rande der Gesellschaft gefüttert wird.

Um mehr Rechte und damit tatsächlichen Schutz vor Gewalt und Ausbeutung für Sexarbeitende zu schaffen, hat Belgien, sich dafür entschieden die Gesetzesänderung in Zusammenarbeit mit Sexarbeiter*innen anzugehen. Ähnlich wie Neuseeland (4), das 2003 als erstes Land weltweit Sexarbeit entkriminalisierte und dabei ebenfalls mit Sexarbeitenden zusammenarbeitete.

Auslöser für die Überarbeitung der Gesetze war der durch die Corona-Krise deutlich sichtbar gewordene Zusammenhang, zwischen Verboten rund um Sexarbeit und der abnehmenden Sicherheit der Sexarbeitenden. Durch die fehlende Anerkennung der Sexarbeit als Arbeit und aus Angst vor Diskriminierung konnten viele Sexarbeitende auch im Lockdown keine finanzielle Unterstützung vom Staat bekommen. So mussten viele weiterarbeiten, trotz erhöhtem Risiko sich mit Corona anzustecken und gegen Gesetzte zu verstoßen. In diesem Zeitraum begangene Gewalttaten und Übergriffe gegenüber Sexarbeitenden wurden, aus Angst der Sexarbeitenden sich selbst zu belasten, teils nicht medizinisch behandelt und/oder polizeilich angezeigt.

Der aus diesen Erkenntnissen entstandene Gesetzesentwurf zur Reform des belgischen Sexualstrafrechts fordert im Bezug auf Sexarbeit:

  • Die Anerkennung und der Schutz von Sexarbeiter*innen
  • Die Fähigkeit rechtsgültige Verträge abzuschließen (z.B. zwischen Prostitutionsstätten und Sexarbeitenden)
  • Das Aufheben der Strafbarkeit von mit Sexarbeiter*innen getroffenen Vereinbarungen
  • Ermöglichung von Kreditaufnahme und Eröffnen von Bankkonten für Sexarbeiter*innen
  • Legale Zusammenarbeit von Sexarbeitenden mit Dritten
  • Erleichterte Maßnahmen zur Bekämpfung von Menschenhandel und sexueller Ausbeutung
  • Die (Selbst-)Organisation in der Sexarbeit zu ermöglichen

 

Weiterhin illegal bleibt:

  • Zuhälterei
  • Förderung und Anstiftung zu Prostitution
  • Ausnutzung eines sog. „anormalen Vorteils“

Durch die Entkriminalisierung und damit einhergehende gesetzliche Anerkennung von Sexarbeit als Arbeit, wird Sexarbeit also aus dem Strafgesetzbuch gestrichen und stattdessen ein arbeitsrechtlicher Rahmen für Sexarbeit geschaffen werden.

Noch ungeklärt sind die genauen Regulierungen zur Straßensexarbeit. Laut Brüssels Bürgermeister Phillip Close unterliegt dies den jeweiligen Gemeinden, mit den Ziel Straßensexarbeit in Wohngebieten regulieren zu können. Der Unterschied, zu dem uns aus Deutschland bekannten Sperrbezirken, scheint hier vor allem zu sein, dass es in Belgien nur um die sichtbare Sexarbeit geht, während in vielen Sperrbezirken Deutschlands Prostitution in jedweder Form verboten ist. Wie die Lage hierzu langfristig in Belgien gehandhabt wird, ist aktuell noch nicht ersichtlich. Es scheint aber zunächst nur Straßensexarbeit zu betreffen, mit der Absicht öffentliche Ordnung zu sichern. Anzumerken ist, dass auch das Verbot von Straßensexarbeit keine sinnvolle Lösung ist. Den Sexarbeitenden wird der Arbeitsplatz genommen und in der Regel keine Alternativen angeboten. Besser wäre es, wenn gemeinsam mit den dortigen Sexarbeiter*innen, Anwohner*innen, Beratungsstellen, Politik und weiteren Beteiligten eine praktikable Lösung vor Ort erarbeitet wird, wie die Arbeit auf dem Straßenstrich für alle Beteiligten möglich gemacht werden kann.

Der große Unterschied im Vergleich zu Deutschland ist, dass hier genau die Sexarbeitenden, die Rechte und Schutz brauchen oft nicht legal arbeiten können, weil sie die Gesetze nicht erfüllen können. Und dies teils trotz legalem Aufenthaltsstatus.

Dies ist ein gutes Beispiel für den zu Beginn mit Van Quickenborne’s Worten beschriebenen Unterschied zwischen Legalität und Entkriminalisierung. In Deutschland herrscht Legalität nicht Entkriminalisierung, was bedeutet, dass Sexarbeitende für viele schwer umzusetzenden Regeln folgen müssen, um legal zu arbeiten zu können. Da diese Regeln von vielen Sexarbeitenden nicht befolgt werden können, aus Angst vor Outing, Diskriminierung oder wegen fehlendem Aufenthaltsstatus, führen diese Sondergesetze zur Kriminalisierung großer Teile der Sexarbeitenden. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass nur ein Teil der Sexarbeit in Deutschland tatsächlich komplett legal tätig ist. Dadurch sind Sexarbeiter*innen als Ganzes in Deutschland leichter von sozialer Teilhabe ausgeschlossen und von Gewalt betroffen. Sie sind leichter kriminalisiert, stigmatisiert und mit Straftaten assoziiert, als in Belgien seit der Gesetzesänderung.

 


Fußnoten

1 = https://utsopi.be/

2= https://dev.berufsverband-sexarbeit.de/index.php/2022/11/05/belgien-will-sich-europaweit-fuer-die-entkriminalisierung-von-sexarbeit-einsetzen/

3 = https://www.eswalliance.org/

4 = https://www.nzpc.org.nz/The-New-Zealand-Model