Heute ist die Anhörung zum Sexkaufverbot – wir sagen NEIN!

Pressemitteilung des Berufsverbandes erotische und sexuelle Dienstleistungen vom 23.02.2024 (PDF-Version). 

Freitag, 23. Februar 2024. Der Bundestag debattiert heute einen Antrag der CDU/CSU zur Einführung eines Sexkaufverbotes in Deutschland.

Seit Jahren weist der Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen auf die negativen Folgen eines Sexkaufverbotes/nordisches Modells hin. Als größter Zusammenschluss von Sexarbeitenden in ganz Europa widersprechen wir der CDU/CSU vehement und weisen auf gravierende argumentative Fehlschlüsse im Antrag (1) hin. Ebenso sind eine Vielzahl der Behauptungen empirisch nicht haltbar. 

So schreibt die CDU/CSU, dass sich die Situation von in der Sexarbeit tätigen Personen seit Inkrafttreten des Prostitutionsgesetzes 2002 „drastisch verschlechtert“ habe. Belastbares Zahlenmaterial zu Prostitution liegt aktuell jedoch nicht vor. Schätzungen in diesem sehr inhomogenen Themenfeld differieren stark und sind somit nicht aussagekräftig. Alleine die sehr umfangreiche Evaluation (2) des ProstSchG (Prostituiertenschutzgesetzes), welche im Sommer nächsten Jahres vorliegt, kann genaue Auskünfte geben.

Die im Antrag aufgelisteten 16 Forderungen (1) sind überwiegend realitätsfern und wenig zielführend:

  • De facto Berufsverbot (Punkt 1+2): Durch die Kriminalisierung der Sexkaufenden entsteht auch ein de facto Berufsverbot (3) für Sexarbeitende. Darüber hinaus beschneidet ein solches Gesetz das Grundrecht auf sexuelle Selbstbestimmung und verletzt den staatlichen Gleichstellungsauftrag gemäß Art. 3 Abs. 2 GG.
  • Verbot von sicheren Arbeitsplätzen (Punkt 3): Mit dem Verbot des Betriebs von Prostitutionsstätten und der Vermietung von Objekten zum Zweck der Prostitutionsausübung würden sichere Arbeitsplätze wegfallen, die mit dem ProstSchG erst neu reglementiert wurden. Sexarbeitende müssten unter dem Sexkaufverbot auf informelle und somit unsichere Arbeitsorte ausweichen, wo sie auch für Beratungsstellen und polizeiliche Maßnahmen schwerer auffindbar sind.
  • Neudefinition von Zuhälterei (Punkt 4): Da die dirigistische Zuhälterei (4) bereits strafbar ist, gilt bei einem Sexkaufverbot nach Vorstellung der CDU/CSU jegliche Form von Unterstützung der Sexarbeitenden als Zuhälterei: Hilfe und Absicherung von Sexarbeitenden untereinander sowie die Unterstützung durch andere Dienstleister wie Chauffeure oder Web Designer. Auch Werbung für Sexarbeit ist verboten.
  • Forderung nach „Rückkehrprogrammen“ zeigt ausländerfeindliche Haltung (Punkt 8): Wie beispielsweise die Forschung von Dr. Niina Voulajärvi (5) deutlich macht, schädigt ein Sexkaufverbot Migrant*innen übermäßig. Der Antrag zeigt, dass die CDU/CSU Betroffenen von Menschenhandel nicht konkret helfen wollen, sondern das Problem lediglich in andere Länder abschieben wollen. 
  • Fokussierung der Beratungsstellentätigkeit auf Ausstieg widerspricht Prinzipien sozialer Arbeit (Punkt 7): Sozialarbeiterische Tätigkeiten sind an den Bedarfen der Betroffenen ausgerichtet. Diese sind im Bereich Prostitution laut Aussagen des Zusammenschlusses der Beratungsstellen bufas (6) sehr unterschiedlich und nicht nur auf die Beendigung der Tätigkeit konzentriert.

Neben faktisch nicht haltbarer Aussagen beinhaltet der Antrag der CDU/CSU zudem Forderungen, die den Kern der Problematik verkennen: 

  • „Haushälterisch gangbaren Konzepte“ für den Ausbau von Ausstiegsangeboten (Punkt 5): Die Finanzierung solcher Projekte liegt bei den Bundesländern. Dass dort die nötigen Summen für die vermeintlichen 200.000 zu betreuenden Sexarbeitenden zur Verfügung stehen, halten wir für ausgeschlossen. Frankreich zeigt die negativen Auswirkungen – dort haben in den ersten 3 Jahren nach der Einführung des nordischen Modells nur 341 Personen effektiv vom Ausstiegsprogramm profitiert, dies sind zwischen 0,9% und 1,1% (7).
  • Menschenhandels-Schulungen von Expert*innen erarbeiten (Punkt 12):
    Schulungen für Menschen, die im Arbeitskontext mit Sexarbeitenden stehen, um für die spezifischen Bedafe zu sensibilisieren, sind sehr wichtig. Die Themeninhalte sollten allerdings von Betroffenen und Expert*innen erarbeitet werden, nicht von einer Partei ohne Praxiserfahrung. Ein Best Practice Beispiel: Fortbildungen für medizinisches Personal vom Projekt Roter Stöckelschuh (8)
  • Community-Gruppen statt Freier-Kampagne (Punkt 11): Der Großteil der Sexarbeits-Kundschaft ist für das Thema Zwang und Menschenhandel schon sehr sensibilisiert. Diejenigen, die sich bisher nicht an diese Wertmaßstäbe orientiert haben, werden auch durch eine multimediale Kampagne nicht erreicht. Diese finanziellen Mittel sollten in den Aufbau von Community-Gruppen für migrantische Sexarbeitende fließen.
  • Prostitutionsbeauftragte statt Monitoringstelle (Punkt 16): Wir als Berufsverband halten es für weitaus sinnvoller und zielführender, die Stelle einer Prostitutions-Beauftragen einzurichten. Diese ist ähnlich wie die Wehrbeauftagte u. a. zuständig für die Vermittlung zwischen in der Sexarbeit Tätigen und Politik und Verwaltung.


Ansprechperson:
Kolja-André Nolte
presse@besd-ev.de
015 777 555 040

————————–

Quellennachweise

  1. Evaluation des Prostituiertenschutzgesetzes des kriminologischen Instituts Niedersachsen
    (https://kfn.de/forschungsprojekte/evaluation-des-prostituiertenschutzgesetzes-prostschg/?fbclid=IwAR1z6yLYfHDoGQ07GNgHdLPk7JBeeKhANcHYieVTNYOCm80loJW1TxjYrIc)
  2. 16-Punkte-Plan der CDU zur Umsetzung des Sexkaufverbotes/nordisches Modell aus dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU: Menschenunwürdige Zustände in der Prostitution beenden – Sexkauf verbieten
    (https://dev.berufsverband-sexarbeit.de/index.php/2024/02/22/16-punkte-plan-cdu/)
  3. Verfassungsblog, Der alte Wunsch nach einfachen Lösungen – Die Unionsfraktion fordert ein Sexkaufverbot – doch gut gemeint ist manchmal unterkomplex von Theresa Harrer (https://verfassungsblog.de/der-alte-wunsch-nach-einfachen-losungen/)
  4. Dirigistische Zuhälterei §181a StGB (https://dejure.org/gesetze/StGB/181a.html)
  5. Studienuntersuchung von Dr. Niina Vuolajärvi zeigt schädliche Auswirkungen des Sexkaufverbotes in Schweden und Norwegen (https://dev.berufsverband-sexarbeit.de/index.php/2023/11/23/studie-sexkaufverbot/)
  6. bufas e.V., Bündnis der Fachberatungsstellen für Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter:
    Stellungnahme zum Positionspapier der CDU/CSU vom 7.11.2023 zum Sexkaufverbot

(http://www.bufas.net/stellungnahme-zu-den-politischen-forderungen-zur-einfuehrung-des-sexkaufverbots-in-deutschland/)

  1. Synthèse comparative des rapports d’évaluation de la loi française sur la prostitution de 2016, Théo Gaudy, Hélène Le Bail
    Französisches Original: https://sciencespo.hal.science/hal-03054400/document
    Englische Übersetzung: https://sciencespo.hal.science/hal-03871960/document
  2. Roter Stöckelschuh (https://roterstoeckelschuh.de/mitmachen#bildungsangebote)