Kritik von Sexarbeitenden am Artikel der Konrad-Adenauer-Stiftung – „Das Nordische Modell in der Debatte über Prostitution“
Die beiden Autorinnen, Liv und Lady Alice, sind Sexarbeiterinnen und gehören zur Politikgruppe des BesD.
„Kann eine Reform der Prostitutionsgesetzgebung die Bedingungen in der Prostitution verbessern oder bedarf es eines grundsätzlichen Paradigmenwechsels und der Einführung eines Sexkaufverbots, um die Menschenwürde und die Gleichstellung der Geschlechter entsprechend der Verfassung sowie internationalen Abkommen zu berücksichtigen? Und muss das Recht auf Selbstbestimmung einer Minderheit in der Prostitution tatsächlich geschützt werden, während der größere Anteil unfreiwillig und fremdbestimmt Opfer von Zwangsprostitution ist?“ [1]
Diesen durchaus wichtigen Fragen widmet sich Dana Fennert, Referentin der Konrad-Adenauer-Stiftung für Gleichberechtigung und gesellschaftliche Vielfalt. Sie veröffentlicht auf der Seite der CDU nahen Stiftung unter der Rubrik „Politische Meinungen“ ihre Darlegung zum Für und Wider eines Sexkaufverbots in Deutschland. Leider bleibt der Artikel mehr eine politische Meinungsäußerung und wird der eigene Anspruch, nämlich eine Analyse der „gegensätzlichen Argumente für und gegen das Nordische Modell“ [1] zu sein, nicht gerecht.
Am Anfang stehen wie immer Zahlen, die ein verheerendes Bild der Lage in Deutschland zeichnen. Die Quellen dazu sind wenig belastbar und in weiten Teilen fraglich bis schlicht voreingenommen sind. (bezüglich Zahlen und Fakten vgl. [2]).
Dies ist auch mit der größte Knackpunkt an Frau Fennerts Artikel. Ihre Quellen speisen sich zumeist aus christlichen Kreisen bzw. dem eigenen politischen Lager und schaffen so keinen neutral analytischen Blick auf die aufgeworfenen Fragestellungen. Speziell die Meinungen von Branchen-Verbänden, Betroffenen und Sexarbeitenden selbst, bleiben leider ungehört und werden in letzterem Fall schlicht mit dem Argument der 5%-Minderheit der freiwilligen Sexarbeit als irrelevant deklariert. Schwedische Zustände scheinen das Ziel zu sein.
Oft zitiert wird Elke Mack, Professorin für Sozialwissenschaft an der Universität Erfurt und klare Befürworterin des Nordischen Modells. Eine ihrer Kernaussagen ist: „Die Strafbarkeit von Sexkauf führte in ganz Skandinavien bis heute zu einem gesellschaftlichen Bewusstseinswandel hin zu Egalität, Anerkennung, Gewaltlosigkeit und Achtsamkeit zwischen den Geschlechtern und zu einem besseren partnerschaftlichen Verhältnis von Mann und Frau.“ ([3]).
Ein tatsächlicher kausaler Zusammenhang ist hier mehr als fraglich.
Viel wahrscheinlicher ist eine Korrelation mit der allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung seit 1999 (Einführung des Modells in Schweden [4]). Darüber hinaus macht eine solche direkte sprachliche Verkettung von nicht verhandelbaren Grundrechten unserer Demokratie (Gewaltlosigkeit, Gleichstellung der Geschlechter) mit einem Sexkaufverbot eine sachliche Diskussion schwierig.
Ob in Schweden die überwiegende Mehrheit junger Männer tatsächlich aus moralischen Gründen ein Sexkaufverbot befürwortet, ist außerdem fraglich. Denn die Stigmatisierung in skandinavischen Länder wirkt. Es gilt längst wieder als unsittlich, Käufer, aber auch AnbieterIn zu sein. Entsprechend hoch ist der gesellschaftliche Druck. (vgl. [5])
Schade ist außerdem, dass Frau Fennert auf die vorangestellte Frage, ob eine Reform des ProstSchG ([6]) Besserung bringen konnte, nicht differenziert eingeht. Denn das ProstSchG in seiner jetzigen Form reguliert leider am eigentlichen Bedarf vorbei und verfehlt dabei das
ursprüngliche Ziel – den Schutz von Sexarbeitenden. Als Berufsverband sind wir auf die Probleme des Gesetzes, aber auch auf mögliches Verbesserungspotential bereits umfänglich eingegangen (vgl. [7]). Einer der wichtigsten Aspekte bei einer möglichen Reform ist der Grundsatz „Redet mit, statt über uns“. Ein Grundsatz, den bedauerlicherweise auch Frau Fennert übergangen hat. Sonst führen Gesetze, aber auch Rettungsversuche, die zwar oftmals gut gemeint, aber tatsächlich schlecht gemacht sind, schlicht an der Lebensrealität der eben nicht homogenen Gruppe der Betroffenen vorbei.
Das gemeinschaftliche Ziel von Sexarbeitenden selbst, der Politik und auch Frau Fennert ist letztlich die effektive Bekämpfung von Straftaten wie Menschenhandel, Zuhälterei und Zwangsprostitution. In der gesellschaftlichen Debatte und auch in Frau Fennerts Artikel werden hier jedoch oftmals andere Maßstäbe an die Definition von „Zwang“ bzw. an die Frage der Freiwilligkeit gestellt als in anderen Berufszweigen. Arbeiten, „weil man das Geld braucht“ ist schlicht gesellschaftliche Realität für den überwiegenden Teil der Bevölkerung in einem kapitalistischen System wie dem unseren, wird in der Prostitution jedoch gerne als ultimativer Beweis der Unfreiwilligkeit herangezogen.
Doch Frau Mack geht noch einen Schritt weiter und wird in Frau Fennerts Artikel wie folgt zitiert: „Bedenkt man, unter welchen Bedingungen Frauen in der Prostitution arbeiten, und dass es einen extrem hohen Prozentsatz an psychischen Zwangen gibt (zumeist vorgängige Missbrauchserfahrungen), muss die Möglichkeit der vollumfänglichen Freiwilligkeit stark infrage gestellt werden.“
Neben der empirisch nicht haltbaren Verknüpfung von Missbrauchserfahrungen und Prostitution, spricht Frau Mack darüber hinaus mit ihrer Aussage auch Menschen mit Missbrauchserfahrungen die Fähigkeit zu eigenen Lebensentscheidungen ab.
Wer Armutsprostitution bekämpfen möchte, muss letztlich Armut bekämpfen. Nicht die Prostitution. Nicht den Kauf.
Die eigentliche Arbeit von Sexarbeitenden selbst wird von Frau Mack als „Schädigung schwersten Ausmaßes […], die nur durch eine psychische Dissoziation erträglich wird“ [1] bezeichnet und so auch von Frau Fennert zitiert. Auf viele mit dieser absoluten Aussage einhergehende Probleme wurde hier bereits eingegangen.
Ein weiteres ist das der Stigmatisierung. Ein Problem, mit dem alle Sexarbeitenden bis hin zum „High Class Escort Girl“ zu kämpfen haben. Diese gesellschaftliche Stigmatisierung trägt aus Sicht der Betroffenen vielmehr zu einer Gefährdung von Menschen in der Prostitution bei als dies eine Normalisierung ebenjener Arbeit zur Folge hatte. Denn Stigmatisierung macht mitunter den Wechsel in einen anderen Berufszweig schwer. Stigmatisierung führt zu Scham, führt zu Angst vor einem ungewollten Outing, führt zum Verstecken; und macht so angreifbar.
Ein schlichtes Verbot füttert den Schwarzmarkt und schafft wieder Räume, in die niemand Zutritt hat. Das hat die Geschichte oft genug gezeigt. Was das speziell für die Prostitution in Deutschland heißt, konnten wir „im Kleinen“ in der Corona-Pandemie sehen, während der Prostitution über Monate hinweg verboten war.
Wer aus finanzieller Not heraus dennoch arbeitete, konnte eben nicht mehr auf sichere Arbeitsplätze und –strukturen zurückgreifen. Preisverfall, vermehrte Nachfragen nach unsafen Praktiken sowie eine Zunahme von Gewalt waren die Folgen (vgl. [8], [9]).
Wir hatten uns gewünscht, Frau Fennert hätte auf einer Plattform wie der Konrad-Adenauer-Stiftung eine Analyse und Meinungsfindung umfassender, fundierter und eben nicht so einseitig gestaltet. Es fehlen nicht nur die Perspektiven der Sexarbeitenden, sondern auch die derjenigen, die im Nordischen Modell kriminalisiert werden sollen – sprich der Menschen, die Dienstleistungen einer konsensbasierten Prostitution in Anspruch nehmen wollen.
Hört man auf die Meinungen und Erfahrungen von Sexarbeitenden, Betreibenden von Prostitutionsstatten, Freiern und Betroffenen, so tun sich viele Stellschrauben auf, an denen man drehen könnte, um eine tatsächliche Verbesserung gerade auch in den prekären Bereichen zu erreichen. Sei es mehr Personal in der Strafverfolgung, besserer Zugang zu psychologischer Hilfe oder auch ein flächendeckendes Angebot einer Einstiegsberatung, wie es Hydra e.V. in Berlin und auch viele andere Beratungsstellen für Sexarbeitende anbieten.
Warum also gibt es also laut Frau Fennert keine Alternative zum Sexkaufverbot? Wir wollen ebenso wie Frau Fennert Verbesserungen für all unsere BerufskollegInnen. Und wir sind bereit unsere Expertise bei einer Reformierung des ProstSchG einfließen zu lassen. Doch dafür muss man uns auch eine Stimme geben und uns beteiligen.
FAZIT
Dana Fennert hat in ihrem Artikel leider keinen neutralen Vergleich verschiedener Optionen vorgelegt, sondern lediglich unter dem Deckmantel einer Analyse das Nordische Modell als alternativloses Allheilmittel dargestellt. Neben der bewussten Auswahl von Quellen aus dem eigenen politischen Spektrum, dem Fehlen von negativen Auswirkungen des Nordischen Modells sowie den Ansichten von Sexarbeitenden selbst lädt Frau Fennert das Thema zusätzlich moralisch auf, in dem beispielsweise die Bezeichnung „Gleichstellungsmodell“ als Synonym für das Nordische Modell verwendet wird. Eine unvoreingenommene und konstruktive Debatte über verschiedene Möglichkeiten wird so von vorneherein verzerrt.
Neutral geht gar nicht. Schwarz-weiß ist die Welt allerdings auch nicht. Wir würden uns daher sehr freuen, wenn Frau Fennert sich den Grundsatz „Redet mit statt über uns“ zu Herzen nimmt. Wir sind jederzeit für ein Gespräch offen.
Quellen
[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Nordisches_Modell_f%C3%BCr_Prostitution
[6] https://www.gesetze-im-internet.de/prostschg/
[7] https://dev.berufsverband-sexarbeit.de/index.php/sexarbeit/gesetze-2/prostschg/
[8] https://phoenix-beratung.de/PHO/wp-content/uploads/2021/06/Position-zum-Sexkaufverbot.pdf